Rechtsvorschriften gegen Lehrkräftemangel an Grundschulen

Mitbestimmung in Zeiten der Pandemie

HLZ 6/2020

Foto: Eine Angleichung der Vergütung der Grundschullehrkräfte ist nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch eine Voraussetzung, um die Abwanderung junger Kolleginnen und Kollegen in andere Bundesländer zu verhindern. Deshalb fordert die GEW Hessen „A13 auch für
Grundschullehrkräfte“, so wie das mehrere Bundesländer inzwischen angekündigt oder umgesetzt haben. (Junge GEW)

Am 24. April sah man in der virtuellen Landespressekonferenz einen offensichtlich gut gestimmten Kultusminister. Für die schrittweise Wiederaufnahme des Unterrichts am darauffolgenden Montag seien die Schulen bestens vorbereitet, nicht zuletzt durch einen Hygieneplan und zusätzliche Desinfektionsmaterialien, die die „Task Force Koordinierung Beschaffungsmanagement und Verteilung“ im Hessischen Innenministerium am Wochenende bereitstellen werde (HLZ S. 6-7). Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, der die Wiederaufnahme des Unterrichts in den 4. Klassen untersagte, folgte zwei Stunden später. Die eigentliche Botschaft, die das Hessische Kultusministerium (HKM) exakt an diesem Tag einer staunenden Öffentlichkeit verkünden wollte, ging angesichts dieser „Klatsche“ unter.

Das plant das Ministerium ...

Kultusminister Lorz stellte in der Pressekonferenz ein Bündel an Maßnahmen vor, mit denen das HKM dem Lehrkräftemangel an Grundschulen entgegensteuern wolle. „Zusätzliches Personal“ benötige man, um den „Ausbau von Ganztagsangeboten, die sukzessive Einführung einer zusätzlichen Deutschstunde sowie die geplante Verpflichtung zum Besuch von Vorlaufkursen“ zu realisieren. Einen Bezug zur Pandemie stellte Lorz mit der Aussage her, dass ältere Lehrkräfte, die ihren Ruhestand hinausgeschoben haben oder im Rahmen eines TVH-Vertrags weiter in der Grundschule unterrichten, als Teil der Risikogruppen im neuen Schuljahr kaum noch zur Verfügung stehen werden. Das Paket sieht folgende Maßnahmen vor:

1. Erwerb eines anderen Lehramts

Die Bedingungen, unter denen arbeitslose Kolleginnen und Kollegen mit dem  Lehramt für Gymnasien oder für Haupt- und Realschulen an einer Grundschule eingestellt werden und im Rahmen einer berufsbegleitenden Weiterbildung das Lehramt an Grundschulen erwerben können, sollen verbessert werden, indem die Weiterbildung von 39 auf 27 Monate verkürzt und die Unterrichtsverpflichtung in dieser Zeit reduziert wird.

2. Gleichstellung mit einem Lehramt

Die Möglichkeit zum Erwerb der Gleichstellung mit einem Lehramt war bisher nach § 53 der Durchführungsverordnung zum Hessischen Lehrerbildungsgesetz (HLbG-DV) auf Bewerberinnen und Bewerber begrenzt, die einen „universitären Abschluss, der kein Bachelorabschluss ist,“ nachweisen können. Aus diesem Abschluss müssen nach der geltenden Rechtslage „zwei Unterrichtsfächer“ oder an beruflichen Schulen „ein Unterrichtsfach und eine Fachrichtung ableitbar“ sein. Für die Zulassung zum Erwerb einer Gleichstellung mit dem Lehramt an Grundschulen, die dann auch eine gleiche Bezahlung und die Möglichkeit der Verbeamtung sicherstellt, soll zukünftig auch ein Bachelor-Abschluss ausreichen, aus dem „mindestens ein Fach für das Grundschullehramt ableitbar ist“. Konkret genannt werden die Fächer Deutsch, Mathematik, Musik, Kunst und Sport. Eine „mindestens fünfjährige Berufserfahrung im studierten Berufsfeld“ bleibt weiter als Voraussetzung bestehen.

3. Einstellungen auf der Rangliste

Kolleginnen und Kollegen mit gymnasialem Lehramt, die sich bei der Bewerbung auf der Rangliste bereit erklären, im Rahmen einer Teilabordnung mindestens vier Jahre an einer Grundschule zu unterrichten, sollen gegenüber den Bewerberinnen und Bewerbern, die eine solche Erklärung nicht abgeben, bevorzugt eingestellt werden. Ein solches Vorrangmerkmal wurde bereits in der Vergangenheit für den Einsatz in Intensivklassen praktiziert. Die so eingestellten Personen werden an einer Schule mit gymnasialem Bildungsgang eingestellt und dort während ihrer Probezeit auch mindestens neun Stunden eingesetzt, damit die Bewährung im gymnasialen Lehramt festgestellt werden kann. Eine Schmalspurfortbildung ist verbindlich.

4. Zwangsabordnung an Grundschulen

Schulen mit gymnasialem Bildungsgang sollen ab dem Schuljahr 2020/2021 auf der Grundlage der aktuellen Daten zur Unterrichtsversorgung verbindliche Vorgaben für „verpflichtende Abordnungen von Lehrkräften an Grundschulen zur Deckung des Einstellungsbedarfs an Grundschulen“ erfüllen.  Dazu wird für jede Schule eine „Schulquote“ festgelegt. Die Abordnung erfolgt aus „dienstlichen Gründen“ nach Anhörung der Lehrkraft, eine Zustimmung soll nur erforderlich sein, wenn die Abordnung die Dauer von zwei Jahren übersteigt. Die Abordnung soll an Grundschulen erfolgen, die Schülerinnen und Schüler an das jeweilige Gymnasium oder die Gesamtschule abgeben, und sich auf den Einsatz in Deutsch und Mathematik in den Klassen 3 und 4 konzentrieren. Voraussetzung für „verpflichtende Abordnungen“ ist, dass alle anderen Möglichkeiten an den Grundschulen ausgeschöpft wurden. Ein Gymnasium oder eine Gesamtschule, die eine oder mehrere Lehrkräfte „im Umfang von mindestens einer halben Stelle an eine Grundschule abordnet, erhält eine unbefristete Einstellungsmöglichkeit.“
Ein entsprechender Erlass wurde den Staatlichen Schulämtern am 23. April 2020 übersandt.

Par Ordre du Mufti

Auf die Frage, ob die große Wertschätzung für die Arbeit der Grundschulen nicht auch endlich zu einer gleichen Bezahlung führen müsse, erklärte Lorz auf hessenschau.de, der Beruf der Grundschullehrerin sei „auch mit der geltenden Gehaltsstufe und angesichts der quasi garantierten Aussicht auf eine Stelle attraktiv“ und schließlich seien „alle Studienplätze belegt“. Ob die in Hessen Studierenden sich dann auch tatsächlich in Hessen bewerben, interessiert ihn offensichtlich nicht.

Die erforderlichen Erlasse und Änderungsverordnungen waren zu diesem Zeitpunkt in den Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer (HPRLL) eingebracht worden und wurden im Rahmen des Beteiligungsverfahrens mit dem HKM kontrovers erörtert. Die Pandemie gab jetzt dem HKM den sicher willkommenen Vorwand, diese Auseinandersetzung par ordre du mufti zu beenden und die Pläne im Wege einer vorläufigen Anordnung nach § 73 HPVG umzusetzen.

Eine überzeugende Antwort, warum die Maßnahmen, die alle erst zum nächsten Schuljahr greifen sollen, „der Natur der Sache nach keinen Aufschub schulden“, bleibt das HKM bis heute schuldig.

Das meinen GEW und HPRLL ...

... zur Gleichstellung mit einem Lehramt

Zur Umsetzung der Maßnahme ist eine Änderung des HLbG erforderlich, ebenso eine entsprechende Änderung der Quereinsteiger-Verordnung. Grundsätzlich kritisch sieht der HPRLL die Absenkung der Anforderungen an die universitäre Qualifikation: Die professionellen Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer seien schließlich in den letzten Jahren „stetig angestiegen“. Aus Sicht des HPRLL müssen deshalb vor allem auch die Bedingungen für das berufsbegleitende Studium und den Erwerb der Lehrbefähigung in einem zweiten Fach geklärt werden. Lehrkräfte, die nur ein Fach unterrichten dürfen, führen zu einer weiteren Belastung der Grundschulkollegien. Die Kolleginnen und Kollegen müssen zur Erfüllung der Qualifizierungsauflagen auskömmlich entlastet werden, dasselbe gilt aus Sicht der GEW auch für die Mentorinnen und Mentoren.   

... zu Einstellungen auf der Rangliste

Die Einführung eines Vorrangmerkmals für die Bereitschaftserklärung zum Einsatz in Grundschulen wird dazu führen, dass die bisherigen Weiterbildungsmaßnahmen zum Erwerb des Lehramts an Grundschulen nicht mehr konkurrenzfähig sind. Gymnasiallehrkräfte, die andere als die in der Grundschule geforderten Fächer haben, werden kaum Chancen haben, ihre Einstellungschancen zu verbessern.

Der vorgesehene Einsatz mit mindestens neun Stunden am Gymnasium, die Notwendigkeit, sich dort als Beamtin auf Probe zu bewähren, und der Wechsel zwischen zwei Schulen wird aus Sicht der GEW zu Problemen führen, die vor allem „auf Kosten der Kollegien der Grundschulen ‚gelöst‘ werden dürften“. Dass die an die Grundschulen abgeordneten Gymnasiallehrkräfte nach A13 besoldet werden, wird die Motivation der Grundschullehrkräfte ebenfalls nicht erhöhen.

Der Vorschlag des HPRLL, schulbezogene Stellenausschreibungen für den gleichzeitigen Einsatz an Grundschulen und Gymnasien zu ermöglichen, wurde vom HKM zurückgewiesen. Die Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt ist aus Sicht des HPRLL zudem ein massiver Eingriff in das laufende Einstellungsverfahren, für das sich mehr als 1.300 Kolleginnen und Kollegen mit gymnasialem Lehramt beworben haben, die jetzt alle benachrichtigt und auf das neue  Vorrangmerkmal hingewiesen werden müssten.

... zur Abordnung an Grundschulen

Der HPRLL lehnt die Zwangsabordnung von Lehrkräften von Gymnasien und Gesamtschulen an Grundschulen zur Deckung des Unterrichtsbedarfs der Grundschulen ab. An dieser Stelle von einem „Solidaritätsprinzip“ zu sprechen, hält die GEW für „absurd“, denn hier würden Versäumnisse und Fehler der Dienststelle bei der Lehrkräfteversorgung den Betroffenen als „solidarische Notwendigkeit“ aufgebürdet. Die geplanten Zwangsabordnungen werden innerhalb der abordnenden Schulen für eine gewaltige Unruhe sorgen – und das in einer Zeit, „in der alle Beschäftigten der Schulen durch die Corona-Pandemie vereinzelt und maximal verunsichert sind, da es keine auch nur halbwegs klare Perspektive geben kann“. Zwangsabgeordnete Lehrkräfte würden für Grundschulen zudem kaum eine Hilfe sein.

Die Regelung, dass Schulen, die ihre „Schulquote“ erfüllen, als Ausgleich eine „unbefristete Einstellungsmöglichkeit“ bekommen sollen, sei für jede  zwangsabgeordnete Lehrkraft „ein fatales Signal“, da sie an ihrer Stammschule bereits „ersetzt“ wird.

Die Prüfung rechtlicher Schritte des HPRLL gegen den Sofortvollzug der Maßnahme vor Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens war bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen.

Harald Freiling, HLZ-Redakteur


Geplante Zwangsabordnungen: HKM handelt verantwortungslos

Die GEW Hessen hält die Vorbereitung von Zwangsabordnungen durch das Kultusministerium insgesamt für verantwortungslos und wird alle dagegen gerichteten Proteste unterstützen: Alle Lehrkräfte, die Schulleitungen und die Schulämter sind derzeit mit einer Krise konfrontiert, die die Schulen, den Unterricht und das pädagogische Miteinander in ihrem Kern erschüttert. In einer Situation, in der niemand weiß, wo wir in vier Wochen, am Ende des Schuljahres oder am Anfang des neuen Schuljahres stehen, wo Beschäftigte angesichts des Infektionsrisikos Angst um ihre Gesundheit haben, Quoten für die zwangsweise Abordnung von der einen an die andere Schulform zu berechnen, Personen für eine solche Abordnung auszudeuten und zugleich alle Mitbestimmungsrechte zu unterlaufen, untergräbt das Vertrauen in die Schulverwaltung und das Kultusministerium und ist ein Schlag gegen die viel beschworene Gemeinsamkeit in Zeiten der Pandemie.

(aus einer Erklärung des geschäftsführenden Vorstands vom 7.5.2020)